Neue Wildnis

In den letzten Tagen der DDR wurde mit dem Nationalparkprogramm die historische Chance genutzt, einmalige Naturreservate zu schaffen. Dieses "Tafelsilber der deutschen Einheit", wie es der damalige Umweltminister Prof. Klaus Töpfer bezeichnete, bescherte der Bundesrepublik praktisch über Nacht fünf neue Nationalparks.

Als einziges Bundesland besitzt Mecklenburg-Vorpommern drei Gebiete mit dem höchsten Schutzstatus, die den Reichtum an Nautrräumen mit bedrohten Tier- und Pflanzenarten bewahren. Das belegt auch die Ausweisung von zwei Buchenwaldgebieten als UNESCO-Weltnaturerbe in den Kernzonen.

Der Müritz Nationalpark, der Nationalpark Vorpommersche Boddenlandschaft und der kleinste deutsche Nationalpark Jasmund auf Rügen ziehen jährlich Millionen Besucher an. Berühmt sind der Hochuferweg an der Kreideküste von Jasmund, die Kranichrastplätze in der Boddenlandschaft sowie die Hirschbrunft in den Wäldern an der Müritz.

Die ausdrucksstarken Bilder der Fotografen zeigen die ganze Fülle dieser beeindruckenden Schutzgebiete und ergeben zusammen mit den ebenso informativen wie unterhaltenden Texten von Jürgen Reich ein stimmungsvolles Panorama der Nationalparks Mecklenburg-Vorpommerns.

 ISBN-10 : 3944327799 

DÄMMERUNG 

Im Frühjahr und Herbst ziehen vieltausend Kraniche durch die Boddenlandschaft. In der Morgen- und Abenddämmerung erscheinen sie als Ketten am Himmel. Sie sind auf dem Weg zu ihren Schlafplätzen auf Inseln sowie im Flachwasser geschützter Buchten oder zu ihren Nahrungsflächen auf abgeernteten Wiesen und Feldern.

SCHARFSINN

Der Blick des Seeadlers ist klar und konzentriert. In seinen Augen wiederholt sich die Farbe des bernsteinfarbenen Schnabels. Seeadler sehen nicht nur ungleich weiter als Menschen, sie nehmen auch ein größeres Spektrum an Farben wahr. Indem sie viele Nuancen von Weiß kennen, können sie auch im Winter jagen, wenn ihre Beute sich in Eis und Schnee verborgen hält. 

WIEDERKEHR

Die Steilwände des Jasmund waren der letzte Felsbrutplatz des Wanderfalken, bevor die Art vor 50 Jahren durch Pestizideinsatz fast ausgestorben wäre und für lange Jahre völlig aus dem Nordosten Deutschlands verschwunden war. Sie ist hierher zurückgekehrt und zieht wieder Nachwuchs in Kreidespalten auf, die von keiner Seite her einsehbar sind.

WINTERWILDNIS

Im Schnee wirkt die Kreideküste der Welt entrückt. Über Jahrhunderte hat der Mensch Landschaften gestaltet: Wälder wurden zu Städten und Äckern, Flüsse zu Kanälen. Hier aber brandet das Meer ungebremst, bietet nur die Steilküste ihm die Stirn. Kaum merklich wandert sie im Laufe der Zeit landeinwärts, sonst hat sie sich kaum verändert. Der Buchenwald auf dem Hügelland des Jasmunds stockt seit zweitausend Jahren. Das Muffelwild scheint mehr Teil der Winterwildnis zu sein als jeder Mensch, obwohl es erst vor wenigen Jahrzehnten hier angesiedelt wurde. 

KRANICHNACHT

Am östlichen Ende der Halbinsel Zingst landen die ersten Kraniche am Spätnachmittag eines warmen Oktobertages. Weitere landen bei niedrigem Sonnenstand. Während die Dämmerung sich vertieft, werden es mehr, bis schließlich zehntausende Kraniche, kaum erkennbar in der Dunkelheit, eingetroffen sind, um ihre Nacht hier zu verbringen.

NEBELGRAU

Windstille im Oktober. Bevor die Kraniche nach Spanien fliegen, versammeln sie sich in der Boddenlandschaft. Nichts deutet daraufhin, dass sie warteten. Sie rasten, suchen Nahrung, spüren dem Wetter nach. Doch in ihrem Inneren wachen sie über den richtigen Zeitpunkt für ihren Abflug. Die Fähigkeit der Kraniche, sich immer wieder neue Biotope zu erschließen, ausreichend Nahrung und milde Winter lassen ihre Brutpaarzahlen von Jahr zu Jahr steigen. Familien mit ihren Jungen, die noch zimtfarbene Federn an Kopf und Hals tragen, finden sich nach der Brutzeit in der Boddenlandschaft ein. Die Kraniche sind das ganze Jahr in allen Lebensräumen anzutreffen. Sieht man sie nicht, bezeugen sie ihr Dasein durch Rufe. 

REGLOS

In den Buchenwäldern des Jasmunds genießt das Damwild beinahe das ganze Jahr über Jagdruhe. Es zieht zu allen Tageszeiten über Hügelkämme und durch sumpfige Täler, wissend, dass ihm keine Gefahr droht. Unweit der Wege verharrt es in der Dunkelheit des Waldes, sobald ein Mensch sich nähert. Vielen Wanderern entgeht diese ungewöhnliche Begegnung. 

VOGELGESTÖBER

Hunderte Brandseeschwalben sind von der Atlantikküste zurückgekehrt und haben ihre Kolonie im Salzgrasland der Boddeninsel bezogen. Es scheint, als bildeten sie den Körper eines einzigen Vogels, wenn sie im Grünen still beieinander stehen und über ihren Eiern brüten. Dann, plötzlich, stieben sie auf und fliegen über die Hohe Düne hinweg hinaus aufs Meer, um zu fischen. Erst nach einer Weile fügen sie sich wieder zu einer ruhenden Form zusammen, die allmählich in Richtung Brutplatz zurück fliegt.