Tierkinder im Zoo

Sie sind für viele Besucher die Stars zoologischer Anlagen: die Tierkinder. Und wahrlich, was da in Kleinformat schwimmt, läuft, fliegt, hangelt oder sich tragen lässt, hat häufig etwas Liebenswertes an sich. 

Auch im Rostocker Zoo gibt es immer wieder Nachwuchs zu beobachten und zu bewundern. Direktor Udo Nagel sowie Naturfotograf Jürgen Reich erzählen in ihrem Band von ganz unterschiedlichen Tieren und ihren ersten Versuchen sich in der Welt zurechtzufinden: vom Gibbonmädchen Raja, von Point, dem kleinen Seebären, von frisch geschlüpften Säbelschnäblern und einen Trampeltier, das kaum zu bändigen ist.

Und natürlich werden auch die Eisbären nicht vergessen, für deren Artenschutz der Rostocker Zoo eine zentrale Rolle spielt - zuletzt Vilma, der kleinen Bärin, die bei ihrer Geburt nicht größer als ein Meerschweinchen war und gerade einmal 500 Gramm wog. Ein Buch, das auch de Geschichten hinter den oft schönen Bildern erzählt, auf anschauliche und locker Wissen vermittelnde Weise.

 ISBN-10 :  3356012819

Leseprobe

Rentier

... Was für ein erhebendes Gefühl, wenn die Tür zufällt und man als Fremder mitten unter den Rentieren steht. Ihr eigenartiges Knacken in den Fußgelenken, das bei jedem Schritt zu hören ist, das weiche Fell, der fremdartige Geruch und die großen dunklen Augen sind ganz nah. Zutraulich, vielleicht auch etwas neugierig beschnüffeln sie den Neuankömmling aus allernächster Nähe. Der Fotograf traut sich ganz verunsichert keinen Schritt weiter. Fasziniert steht er da. Den Rentieren reicht das kurze Bekanntmachen aus.

Bald darauf laufen sie dem Pfleger hinterher, der in seiner Karre eine Kiste Futter zum Stall bringt. Heu können die Rentiere immer aus der Raufe fressen, aber das saftige Futter bekommen sie nur einmal täglich.

Ihr Besuch im Gehege ist plötzlich nicht mehr wichtig. Als der Pfleger nach dem Füttern zum Saubermachen weiter ins Gehege geht, deutet er vielsagend in den Stall: „Aber ganz vorsichtig!“ Die Tiere folgen ihm zwischen den Eichen hindurch auf die weitläufige Anlage.

Was mag der Pfleger nur gemeint haben? Erst zögernd, dann neugieriger werdend, schaut der Fotograf ganz langsam um die Ecke in das Dämmerlicht des Rentierhauses. Dort steht ein Weibchen ganz alleine im Halbdunkel. Von ihrem Kopf rinnt ein Blutstropfen herab, der von einer daumennagelgroßen hellroten Stelle der Stirn läuft. Zuerst bekommt der Fotograf einen Schreck, doch dann wird ihm klar – das Rentier hat soeben seine Geweihstange abgeworfen, was ja etwas völlig normales ist. Sie muss hier noch liegen. Mit den Augen tastet er im matten Licht des schwarzbraun gestrichenen Holzhauses umher, entdeckt aber etwas wesentlich Wichtigeres, viel Schöneres.

Versteckt hinter dem Weibchen schläft ein wenige Tage altes Renkalb. Mit seinem dunklen Fell, halbverborgen im Stroh liegend, fällt es gar nicht auf. Doch halt, das Weibchen hat den fixierenden Blick bemerkt. Schon legt die Mutter ihre Ohren an, senkt den Kopf wie alle kampfbereiten Geweihträger, obwohl ihr Haupt seit kurzem ganz kahl ist. Dichter darf der Unbekannte nicht heran! ...