Leseprobe (Auszug aus der Geschichte):

Sturm am Darßer Weststrand

Ahrenshoop war menschenleer. Der Ort, wo im Sommer Menschen unterwegs sind, wie in der belebten Einkaufstraße einer Großstadt, erschien wie ausgestorben. Die Urlauber, welche zum Jahreswechsel gerne die ruhige Zeit an der Küste verbrachten, waren längst wieder zu Hause. Mitte Januar kamen kaum Gäste hierher.

Aber heute ging auch kein Einheimischer vor die Tür. Über dem Ort bogen sich bedenklich, die ohnehin ganz schief stehenden Bäume. Überall lagen abgebrochene Äste auf der Straße, um die Flugsand in langen Fahnen  herum fegte. Der lokale Rundfunk verbreitete halbstündlich Unwetterwarnungen, die sehr bedenklich klangen. Unnötige Fahrten sollten unterbleiben! Trotzdem, ich musste unbedingt das Meer sehen!

Der letzte Parkplatz  an der Straße hinter Ahrenshoop, lag verwaist. Dort am Waldrand, wo das Nationalparkschild stand, verließ sie den Schutz der Düne und verschwand im Darßwald. Von hier waren es nur wenige Schritte und der berühmte Weststrand begann.

Schon der Kontrast vom beheizten, schallgedämmten Autoinneren, in die Wirklichkeit hinaus war fast erschreckend. Die Tür ging nur schwer auf. Sofort wurde ein lautes Tosen hörbar, das nicht nur in den großen Pappeln am Parkplatzrand, sondern überall in der Luft schwang. Was vor der Düne geschah, verrieten schon hier ballgroße Schaumfetzen die vom Sturm getrieben, herüber kamen. Die Luft war deutlich salziger als sonst. Neben dem Schaum flog auch Sand durch die Luft, der sich schnell am Fuß der Düne ablegte.

Stellenweise trieben Sturmfetzen, auch verwirbelte Sandfahnen über den glatten Asphalt, wie man es sonst nur von Schnee kannte. Der ganze Bereich im Windschatten der Düne erschien neblig, dunstig, so viel Wasser und Sand war  in der Luft.
Je weiter man auf den Dünenkamm zu schritt, umso schärfer schlugen die harten Quarzkörner ins Gesicht. Den Hang hinauf war es nur möglich gebeugt und mit geschlossenen Augen voran zu kommen. Ganz oben angekommen fegte der unangenehme Sandstrahl nur noch um die Beine. Lediglich der sprühregenartige Dunst blieb. Das Atmen und Stehen viel schwer, überall gegen den Körper drückten mit unsichtbarer Kraft die Orkanböen, als würde man in einer großen Menschenmenge hilflos hin und her geschoben. Die Kleidung musste fest geschlossen sein. Der Bart schlug hoch bis in die Augen, was sehr unangenehm war, da die Haare bei der Kälte hart wie Klingeldraht waren.

Aber was sich nun den Augen bot, war unbeschreiblich. Das Meer tobte, brüllte und wühlte, als wollte es aus seinem jahrtausende alten Bett herausspringen. Von weit her rollten schwarze Wellen mit breiten weißen Schaumkronen zum Strand. Je näher sie kamen, desto steiler bauten sie sich auf. Der Horizont erschien ganz nah, obwohl die sonst so scharfe Linie zwischen Wasser und Himmel lediglich ein dunstig vager Übergang war. Wellen und tief dahinjagende Wolken verschmolzen kaum eine Seemeile vom Strand entfernt.
Nur ganz selten erschien in der Ferne etwas Helligkeit und gelegentlich drangen sogar einige Sonnenstrahlen für Momente bis zur Wasseroberfläche durch die schwarze Wolkendecke. Dann jagten die hellen Strahlen wie ein Punktscheinwerfer irritiert über die tosenden Wellenberge. Aber hoffnungsvolles Licht drang nicht von oben in das Chaos, der Wasserwüste. Es vertieft nur noch die finstere Wirklichkeit des Tages, ringsumher. Schon waren sie verschwunden.

ISBN-10: 3356013602

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